Geschichten Weihnachten


Des Schiffsjungen Weihnacht

Er wollte fort - hinaus - hinweg -
die Welt in ihrer Schönheit sehen.
Nun steht er traurig oft auf Deck
und hört den Wind im Segel wehen,
und hört, wie rauschend hoch am Kiel
die wilden Meereswogen quellen ...
So fern die Heimat, fern das Ziel,
und ringsum nichts als Wellen - Wellen. -
... Und heut' ist heil'ges Weihnachtsfest -
jetzt läuten sie daheim die Glocken.
Ob sich ein Christfest denken lässt
auch ohne weiße Winterflocken?
Daheim jetzt der Bescherung Glück,
bei Tannenduft und Lichtgefunkel -
Und hier? - Er kämpft den Schmerz zurück
und flüchtet in der Koje Dunkel.
- Dort sucht er lang im Kasten nach,
bis er den kleinen Zweig gefunden,
den er vom letzten Christbaum brach,
daheim in frohen Weihnachtsstunden.
Braundürre Nadeln knistern leis -
er starrt und starrt - und Tränen blinken,
dann neigt er tief sich auf das Reis
den trauten Waldgeruch zu trinken.
- Eintönig, unablässig rauscht
das Weltmeer an des Schiffes Planken.
Der Knabe hört es nicht. Er lauscht
auf andre Klänge in Gedanken.
Er hört in klarer Winterluft
das "Stille Nacht" die Seinen singen -
ihn trug des Tannenreises Duft
Zur Heimat auf der Sehnsucht Schwingen.

Alice von Gaudy


Der Zaunkönig und seine Königin

Zu Bethlehem der Wächter rief zu aller Kunde
Nach Mitternacht die dritte Stunde -
Da stand am Hinterhause des Ezechia
Der Engel und besah
Mit seinem himmlischen Gefährten
Den Ort, wo Gottes Sohn auf Erden
In Knechtsgestalt erscheinen sollte. -
"O, dürft ich," seufzte Gabriel, "ich wollte
Dem Höchsten eine Wiege bauen!
Als Opfer flössen schnell von allen Enden,
Aus allen Gauen
Zum heiligen Werk die reichsten Spenden.
Die Berge spendeten ihr reinstes Gold,
Der Wurm aus weiter Ferne
Die Seide zu dem Decklein gerne,
Die Tiefe, was die Purpurschnecke zollt,
Der Schwan aus seiner weißen Hülle
Der weichsten Daunen reiche Fülle.
Den Wiegenkorb hängt' ich an Reben,
So frei von Ulm' zu Ulme schweben,
Und Lüfte, die auf Blüt' und Blumen liegen,
Geböt' ich, aufzustehen und das Kind zu wiegen."

Unweit von Gabriel, der also sprach,
Hing, gut geflochten mit dem Stroh am Dach,
Ein rundes Nest, und drin
Saß König Zaun und seine Königin.
Die stieß den schlafenden Gemahl
Erschrecklich in die Seite
Und sprach: "Zaun, hör' einmal,
Was unter uns die fremden Leute
Von wunderlichen Dingen sagen!"
Sie horchten nun, der König und die Königin,
Und hörten, daß in wenigen Tagen,
Nach Gottes Sinn,
Der Herr des Himmels und der Erden
Sollt' unter ihrem Dach geboren werden!
Als drauf die Engel weiter waren,
Sprach seine Frau zu König Zaun,
Der seine Augen wieder schließen wollte: "Traun,
Nach dem, was wir erfahren,
Ist nun zum Schlafen nicht mehr Zeit. -
Ei ja, der Engel sprach wohl lang und breit
Von Stall und Krippelein und jammerte dabei;
Doch was darin zu richten sei,
Vergaß der Kluge nachzusehn,
Als wird' es schon von selbst geschehn.
Komm, Guter, komm, lass uns nicht säumen,
Im Stalle etwas aufzuräumen."
So sprach die Königin zu ihrem Herrn,
Und obgleich König Zaun sonst länger schlief,
So folgte er doch seinem Weibe gern,
Das ihn zu dieser Arbeit rief.
Ach Gott, das ist ein Stall!
An allen Enden, welch ein Graus!
Wer zählt das Ungeziefer all!
Im Winkel sitzt die Fledermaus,
Die Spinne an den Netzen flickt,
Die Wespe an dem holze zwickt,
Der Tausendfuß im Moder kriecht,
Der Skorpion im Staube liegt,
Und von der Decke Staubpaniere hangen.

Das Paar vom Zaun lässt sich vor diesem Graus
Nicht bangen.
Es jaget fort die Fledermaus,
Es spießt die Spinne, die am Neste flickt,
Es schlägt die Wespe, die am Holze zwickt,
Es fällt den Tausendfuß, so in dem Moder kriecht,
Es würgt den Skorpion, der in dem Staube liegt.
Der Königin so wohlgemut,
Sind ihre Flügel nicht zu gut:
Sie kehret an den Wänden auf und ab,
Sie flattert an der Decke hin und her,
Und Staub und Staub fällt wolkendicht und schwer
So links und rechts herab.
Indes die Wand und Decke fegt,
Heißt sie den König lugen,
Ob wohl das Krippelein in seinen Fugen
Kein Ungeziefer hegt.
"Denn", sagte sie, "es wär' uns Sünde,
So Spinne oder Käferlein dem Kinde,
Wenn's in der Krippe schliefe,
Zum Schrecken übers Antlitz liefe.
Ei Schande, wenn es aufschlüg' seine Äugelein
Und fiel ihm Staub und Wust hinein!"
Indes so die vom Zaun sehr fleißig waren,
Kam Gabriel herab gefahren
Und sprach zum König und der Königin:
"Gott hat gesehn, was ihr mit gutem Sinn
Für seinen Sohn getan,
Und sieht's so hoch in gnaden an,
Dass ihr den Lohn selbst wählen sollt."
"Wir brauchen", sprach der König, "weder Ehr' noch Gold,
Wir haben unser täglich Brot,
Und sonst tut uns nichts not.
Doch will der Herr uns Gnaden schenken
Und des geringsten Diensts gedenken,
So lass' er mir, wenn allemal das andere Gefieder
Im Herbst verstummet, meine Lieder,
Auf daß ich immerdar nach meiner Weise
Von nun an meinen Schöpfer preise."

Seitdem singt König Zaun am Weihnachtsfest,
Wann Gott die andern Vögel schweigen lässt,
Im Namen der beschwingten Brüder
Dem Sohne Gottes seine Lieder.

Karl Stöber


Die Rose

"Mutter, o wie heißt die Blume,
Die am rauen Dorne blüht,
Die so rot wie Lipp' und Wange,
Die wie Morgensonne glüht?"

"Rose heißt, mein Kind, die Blume,
Doch, warum so hehr sie prangt,
Dieses will ich dir erzählen,
Bis zu schlummern dich verlangt.

In dem heil'gen Land geboren
War das liebe Jesuskind,
Dass es sollt' die Welt erlösen
Und erhellen, die da blind.

Und Maria, seine Mutter,
Es bei Nacht und Tag bewacht,
Sang ihm vor und trug's und pflegt' es,
Wie ich's jüngst mit dir gemacht.

Sonderlich am Samstagmorgen
Lullte sie es immer ein,
Und dann wusch sie die Gewändlein,
Dass sie Sonntags nett und rein.

Engel wachten dann beim Kindchen,
Engel gingen ihr zur Hand,
Halfen ihr die Linnen trocknen
Auf des Gartens Dornenwand.

Doch sobald sie Kleid und Linnen
Von den rauen Dornen hob,
Blüheten, wo sie getrocknet,
Blumen ihrem Kind zu Lob.

Diese Blumen sind die Rosen,
Über allen heilig schön,
Zum Gedächtnis an den Heiland
Sie in jedem Garten stehn.

Wie die wüste Welt der Heiland
Zu dem Bessern hat bekehrt,
Sprossten Blüten von den Windeln,
Und der Dornenstrauch ward uns wert.

Zum Gedächtnis an die Stunde,
Wo sein Linnen trocknend lag,
Lacht allsamstaglich die Sonne,
Selbst am trübsten Regentag.

Was die Rose dir verkündet,
Schlag es nimmer in den Wind;
Siehst du sie, denk' an Maria
Und das liebe Jesuskind."

Vinzenz von Zuccalmaglio


Ein Mutterherz

Weihnachten war's, die schöne Wonnezeit,
wo Millionen Herzen freudig schlagen,
sei es im Geben, sei es im Empfangen,
und Jubel rings und reinste Seligkeit.

Als nun der heil'ge Abend niedersank
aus tiefer, wunderbarer Himmelsbläue
rings auf die stille, schneebedeckte Erde,
und als von allen Türmen nah und fern
in mächtig hehrem Feierglockenklange
des Himmels alte, süße Liebeskunde
die Luft durchzitterte, und als gemach
manch Fenster sich erhellte, als hinaus
strahlende Kerzenpracht des Tannenbaums
mit lustig lautem Kinderjubel drang;
da saß ein Weib allein in ihrer Stube
bei trüber Lampe, eine Witwe war es
in schwarzem Kleide. Stumm die Hände faltend,
so saß sie da und starrte in die Flamme,
und während fern die Glockenklänge tönten,
die Lichter strahlten und die Kinder jauchzten,
blieb es in ihrem Herz still und traurig.

Einst war auch ihre Seele hoch beglückt
durch einen lieben, schönen, blonden Knaben,
ihr Hoffen einst, ihr Stolz und ihre Freude;
doch der war nun seit wenig Monden tot
und lag an seines toten Vaters Seite.
Nun hat sie keinen Christbaum mehr zu schmücken,
nun keiner Seele Freude zu bereiten,
und dieses schönste Fest fürs Mutterherz,
so reich an Wonnen einst, nun reißt es tausend
kaum heile Wunden schmerzlich wieder auf.

So saß sie da und starrte in die Flamme,
in ihrer tiefsten Seele still und öde,
so saß sie da, ganz einsam, ohne Regung.
Da plötzlich kommt ins Herz ihr ein Gedanke;
auf steht sie, seltsam lächelnd, geht hinaus
und kehrt nach einer halben Stunde wieder
mit einem kleinen, grünen Tannenbäumchen
und Lichter auch und Goldschaum, es zu schmücken.
Dann hängt sie Nüsse dran und rote Äpfel,
wie sonst sie pflegte, und als das vollbracht,
holt eine Leuchte sie und zündet diese,
geht dann mit ihrem Bäumchen wieder fort.

Sie eilt durch die hellen Straßen hin,
dann weiter durch die ruhigen der Vorstadt
und immer weiter bis zum stillen Friedhof.

Hoch oben funkelte das Heer der Sterne
herab aus tiefer träumerischer Bläue,
ein selig' Glänzen ging durch alle Ferne,
und ein hehre Feier war ringsum,
als sollten wieder Wunder sich begeben
und wieder Hosiannalieder klingen.

Und wie so friedlich lag das heil'ge Feld
mit seinen Kreuzen, seinen Totenkränzen
und Leichensteinen unterm Schneegewand,
das alles deckte still und rein und weiß!
Sie aber ging zu einem kleinen Hügel,
dort kniete sie, dann in die harte Erde
steckte mühsam sie den kleinen Baum und zündet
die Lichter an; sie strahlten feierlich
rings auf den weißen Schnee, auch nicht im kleinsten
Nachthauche bebend, solche Stille war's.

"Mein Kind, mein liebes, süßes, totes Kind,
sieh her, es hat dir deine arme Mutter
den Weihnachtsbaum gebracht!" Mehr sprach sie nicht,
doch heftig laut aufweinend sinkt sie nieder
und birgt das heiße, tränenvolle Haupt
tief in den kalten Schnee, ihr Herz zerfleischend
in wilder Lust mit selbstgeschaffner Qual.

So fanden sie die Leute, und sie schalten
und nannten sie unsinnig, hirnverrückt,
hinweg sie zerrend von des Kindes Grabe. -
Es waren Männer, keiner ja verstand
in solcher Wonne und in solchen Schmerzen,
in seiner ganzen Wunderherrlichkeit
das Mutterherz, - das heil'ge Mutterherz.

Hermann Allmers


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